Sie machen Karriere. Angestellt oder in Ihrem eigenen Unternehmen. Ihre Ziele, die Sie erreichen wollen, sind gut durchdacht und stehen klar vor Ihrem geistigen Auge. Sie haben Einfluss auf Ihr berufliches Umfeld und verdienen für die damit verbunden täglichen Herausforderungen entsprechendes Geld. Arbeiten Sie allein um des Geldes Willen, auf Grund der Freude an Herausforderungen oder aus Lust an der Machtausübung? Nichts davon trifft vermutlich ganz zu. Wozu also tun Sie das, was zur Zeit immerhin den wesentlichen Teil Ihres Lebens ausmacht?
Kennen Sie die neuesten Managementtechniken? Mit welchen Methoden steuern Sie Ihre Projekte? Planen Sie Ihre Termine und Aufgaben mit einer gängigen Zeitmanagement-Methode? Haben Sie schon einmal an einem der heute beliebten Motivationstrainings teilgenommen?
Im Alltag denken wir nicht über Techniken nach, wir haben irgendetwas gelernt, was "funktioniert", und wenden es an. Dann hören wir von einer neuen Methode, einem neuen Konzept, mit dem wir noch
besser, noch schneller, noch effizienter werden können. Vielleicht probieren wir es eine Weile und integrieren Teile davon in die täglichen Arbeit, oder wir kehren zurück zu unseren "bewährten" Praktiken.
Natürlich, es ist
notwendig, in den unterschiedlichen Situationen des Managementlebens sinnvoll reagieren zu können. Ohne zu wissen, ob das, was wir gerade tun, wirklich sinnvoll und zielführend ist. Das können wir nur im Rückblick beurteilen, um
bestenfalls daraus für die Zukunft zu lernen, ohne wiederum wissen zu können, ob in zukünftigen Situationen gerade das, was sich früher einmal bewährt hat, immer noch richtig ist. Denn in neuen Situationen, Projekten, Unternehmen begegnen
wir häufig (glücklicherweise?) dem Agabu-Prinzip: "Alles ganz anders bei uns". In der Regel dient dieses Prinzip aber nur als Begründung dazu, das Rad noch einmal völlig neu und noch runder zu erfinden.
Stellen Sie sich eine
typische Krisensituation vor. Ein Projektendetermin rückt unaufhaltsam näher und Ihnen wird schuldbeflissen mitgeteilt, dass der bisher gemeldete Fertigstellungsgrad irrtümlich falsch beurteilt wurde. Ein kritischer Liefertermin wird nicht
eingehalten, so dass die nachfolgenden Fertigungsprozesse ins Stocken geraten. Ein Schlüsselkunde springt plötzlich ab und gefährdet das Zahlenwerk kurz vor der entscheidenden Bilanzrunde. Sie stehen zuversichtlich vor dem
Verkaufsabschluss und merken plötzlich, dass Ihr Kunde Sie die ganze Zeit nur hinhält oder auf einmal mit unannehmbaren Zusatzforderungen herauskommt. Denken Sie in diesem Augenblick an Methoden oder neueste Techniken, mit denen Sie das
Problem in den Griff bekommen können? Vielleicht läuft Ihr Verstand auf Hochtouren, aber laufen dort bewusst gesteuerte Überlegungen ab? Steuern Sie in der Situation irgend etwas?
Wenn das Haus brennt, verlassen Sie es vermutlich auf
kürzestem Wege. In dieser Situation tun Sie das, was gerade notwendig ist, ohne lange an gute Ideen und clevere Techniken zu denken. Die Dinge geschehen, wie sie es eben gerade tun und Sie geben den Versuch der bewussten Steuerung und
Kontrolle auf. Nicht Sie steuern die Situation, sondern die Situation wird gesteuert. Und Sie sind Teil der Situation, Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes die Situation. Also brauchen Sie auch nichts zu steuern.
Kennen Sie solche
Situationen, in denen Sie vom Fluss des Geschehens getragen werden, die Aufmerksamkeit ist glasklar, Ihr Handeln geschieht situationsgerecht aus einer inneren Quelle heraus ohne bewusste Steuerung und Kontrolle und das Ergebnis ist in
diesem Augenblick genau "richtig"? Obwohl Sie eigentlich "nichts tun"? Meistens geschieht dies in den sogenannten Krisensituationen, wenn alle Planungen versagt haben und kein Ausweg unmittelbar ersichtlich ist.
Natürlich ist es durchaus sinnvoll, entsprechende Methoden und Techniken zu beherrschen, um mit den vielfältigen Situationen fertig zu werden. Aber wenn Sie an den Techniken kleben, werden Sie wenig Freude in Ihrem Beruf haben. Sie werden
vielleicht der Experte für viele Techniken sein, aber niemals professioneller Managementexperte.
Stellen Sie einmal für ein paar Minuten alle Ihre Ideen zum Thema erfolgreiches Management auf den Kopf. Lösen Sie sich von der Idee, Ihre Managementtätigkeit müsse zielorientiert sein. Vergessen Sie kurz
den Gedanken, Sie könnten Unternehmen, Organisation oder Projekte bewusst steuern und kontrollieren. Werfen Sie alle trainierten Methoden und Techniken, die Sie intensiv gelernt und geübt haben, über Bord. Was bleibt übrig? Das blanke
Chaos? Das pure Desaster?
Nein, die Essenz bleibt übrig. Sie können Ihr Unternehmen, Ihre Abteilung oder Ihr Projekt letztlich nicht kontrollieren. Sie können es von unterschiedlichen Seiten aus betrachten und erhalten unterschiedliche
Bilder oder Konzepte. Managementtechniken tun nichts anderes als neue Sichtweisen auf dieses großartige Gebilde "Unternehmen", "Organisation" oder "Projekt" zu erfinden und dann zu behaupten, dieses Bild sei
das derzeit effizienteste, mit diesem Bild könnten Sie Kontrolle ausüben. Daran ist nichts Schlechtes, und es kann durchaus nützlich sein, diese Bilder zu prüfen, sich damit zu beschäftigen, eine Weile mit ihnen zu spielen. Aber Sie
sollten nicht vergessen, dass Sie sich mit Bildern beschäftigen, mit Gedankengebäuden, mit Konzepten. Und nicht mit dem geheimnisvollen Gebilde, das ihr Unternehmen, Ihre Organisation oder Ihr Projekt ist.
Lassen Sie einmal für einen
kurzen Augenblick die Behauptung im Raum stehen, dass ein zukunftorientiertes Management nicht wie gewohnt auf der Grundlage konzeptioneller Überlegungen und Strategien beruhen sollte, sondern dass die Zukunft in der Freiheit von Konzepten
liegt. Wie wirkt die Aussage auf Sie, dass bekannte Führungsinstrumente nichts anderes sind als gedankliche Täuschungen in einem egozentrischen Überlebenskampf?
Eine solche Aussage ist – gelinde ausgedrückt – mehr als revolutionär. Aber was genau steckt dahinter?
Wenn wir als Führungskraft bereit sein wollen, Gedanken über einen vollkommen neuen Weg für die zukünftige Entwicklung im
Geschäftsleben zuzulassen, müssen wir uns eine Frage stellen, die alle etablierten Funktionsweisen unseres bisherigen Denkens nicht nur in Frage stellt, nein, sie sogar ad absurdum führen. Diese Frage lautet: "Bin ich in der Lage,
Beurteilungen, Überlegungen oder Gedanken in Ihrer Entstehung – sozusagen an der Quelle – zu beobachten, und habe ich über die in mir erscheinenden Gedanken irgendeine Art von Kontrolle?"
Die ehrliche, die wirklich ehrliche
Antwort wird Sie letztlich zu dem Punkt führen, an dem der Denkende und Handelnde sich in dieser Fragestellung vollkommen auflöst, da der Impulsgeber oder die Quelle aller Gedanken einfach nicht zu identifizieren ist. Und genau in diesem
einen Moment entsteht die Bewusstheit, dass das, was die Führungs- bzw. Managementpersönlichkeit bislang ausmachte, nichts anderes ist als eine Ansammlung konzeptioneller Glaubenssätze und Überzeugungen mit – auf makabere Weise –
gesellschaftlich akzeptierten egozentrischen Zielen.
Was kann diese das Ego neutralisierende Einsicht für den Einzelnen und für die Zukunft im weltweiten Geschäftsleben bedeuten?
Die Quintessenz wird sein, dass im Vorfeld einer
konzeptfreien Führungsvariante vollkommen neue intuitive Impulse zur evolutionären Weiterentwicklung der Marktwirtschaft entstehen. In gewisser Weise handelt es sich um ein passives Geschehenlassen. Aber verwechseln Sie diese Passivität
nicht mit dem Gegensatz von passiv und aktiv. Denn diese "aktive Passivität" eröffnet in kreativer Entspannung neue, die Aktivität fördernde Horizonte. Abgesehen vom innovativen Wachstumspotential für die Gemeinwirtschaft tritt
auf der Ebene der Einzelpersönlichkeit im Berufsalltag eine die Gelassenheit fördernde und doch neue Wege eröffnende Entspanntheit ein. Der Stress konzeptioneller Vorgaben bis hin zum Burn-Out als bekannte Nebenerscheinung der
Führungsarbeit wandelt sich in kreative Gleich-Gültigkeit. Ihre Mitarbeiter werden zu einer ungeahnten Motivationsgrundlage finden und das Prinzip des "Win-Win" ist nicht mehr nur eine formulierte Absicht, sondern gelebtes
Business.
Betrachten Sie also die Beschäftigung mit Managementkonzepten und ihrer Anwendung auf das persönliche berufliche Umfeld einmal unter diesen anderen Gesichtspunkten. Lösen Sie sich für eine kurze Zeit von dem Glauben, dass Sie
damit einen bestimmten Zweck erfüllen oder ein Resultat erzeugen müssen. Lernen Sie, weil Sie gerade einer neuen Technik begegnet sind, die Sie anspricht, und nicht, weil man Ihnen sagt, dass lebenslanges Lernen erforderlich ist. Leiten
Sie Ihr Projekt, ohne an den Resultaten zu kleben. Beschäftigen Sie sich mit den Herausforderungen, weil sie gerade jetzt Ihre ganze Aufmerksamkeit erfordern. Erstellen Sie eine Planung, weil es gerade jetzt erforderlich ist zu planen. Tun
Sie einfach das, was jetzt in diesem Augenblick notwendig ist, ohne sich darüber Gedanken zu machen, warum Sie dieses tun und was Sie erreichen wollen. Sie werden Erfolg haben - indem Sie die Absicht über Bord werfen, erfolgreich zu sein.
Denn Sie wissen gar nicht, was Erfolg wirklich ist.
Werden Sie ein Meister des Managements. Indem Sie das tun, was Sie gerade jetzt tun, mit vollkommener Hingabe, mit Ihrer ganzen Aufmerksamkeit. Und ohne Zweck. Mehr ist absolut nicht
erforderlich, denn fügen Sie etwas hinzu, entsteht der Handelnde, von dem Sie glauben, es zu sein. Aber es ist auch nicht weniger als Ihre gesamte Aufmerksamkeit erforderlich. Lösen Sie das Paradoxon auf und Sie haben die Frage
beantwortet: Wozu tun Sie das, was zur Zeit immerhin den wesentlichen Teil Ihres Lebens ausmacht?
Autoren: Dietmar Focke und Gregor Geißmann
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